Das Jahr 1810 stellt einen Wendepunkt in der Geschichte der synagogalen Musik dar. War während all der Jahrhunderte nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels 70 n.d.Z. die instrumentale Musik aus der jüdischen Liturgie verschwunden, so kehrte sie nun zurück. In Seesen am Harz ließ der jüdische Kammeragent Israel Jacobson in der Synagoge seines „Religions- und Industrieinstituts“, das jüdische wie christliche Schüler ausbildete, eine Orgel einbauen. Die Erfolgsgeschichte der Synagogenorgel begann.
Unumstritten war das Instrument innerhalb des Judentums nie. Vielen schien es zu christlich, manche wollten an dem Verzicht auf Instrumentalmusik während des Gottesdienstes festhalten. Dennoch besaßen zu Beginn des 20. Jahrhunderts über 130 Synagogen auf dem Gebiet des Deutschen Reiches Orgeln. Zahlreiche Kompositionen für Kantor, Chor und Orgelbegleitung entstanden, auch einige wenige Orgelwerke solistischen Charakters. 1938 setzte die Reichspogromnacht dieser Entwicklung ein jähes Ende.
Das Europäische Zentrum für Jüdische Musik erinnert mit der Konzertreihe „200 Jahre Synagogenorgel“ an diesen Wendepunkt. Einen Schwerpunkt im Konzertprogramm bilden die großen Reformer der jüdischen Sakralmusik, die sich für die Verwendung der Orgel in der Synagogenmusik eingesetzt haben: Salomon Sulzer (1804 – 1890) aus Wien, Louis Lewandowski (1821 – 1894) aus Berlin und Samuel Naumbourg (1816 – 1880) aus Paris. Als Komponist, der die Neuerungen in der jüdischen Liturgie auf niedersächsischem Gebiet zu musikalischen Meisterwerken führte, tritt Alfred Rose in Erscheinung, der Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts lange Zeit als Chorleiter an der hannoverschen Synagoge wirkte. Und auch die Brückenbauer zwischen jüdischer und christlicher Sakralmusik stellt das Programm vor: Franz Schubert (1797 – 1828), dessen deutschsprachige Psalmvertonung neben einer hebräischsprachigen für die Wiener Synagoge steht, und Felix Mendelssohn Bartholdy (1809 – 1847), der aus seinem jüdischen Hintergrund heraus kirchenmusikalische Meisterwerke schuf.