Rückblick: Jüdische Filmtage München 2010

Auch in diesem Jahr war mit Ajami wieder ein israelischer Film für den Oscar nominiert, auf dem Internationalen Festival der Filmhochschulen München räumen FilmstudentInnen aus den drei israelischen Filmhochschulen regelmäßig Preise ab, Dokumentar- und Spielfilme jüdischer FilmemacherInnen genießen weltweit hohes Ansehen, lediglich in die deutschen Kinos schaffen es nach wie vor nur wenige Produktionen. Mit den Jüdischen Filmtagen, die vom 14. bis 17. März 2010 zum zweiten Mal im traditionsreichen Gabriel Filmtheater München stattfanden, bot die Gesellschaft zur Förderung jüdischer Kultur und Tradition e.V. RegisseurInnen ein Forum, ihre Filme dem deutschen Publikum vorzustellen.

Fünf Dokumentar- und drei Spielfilme, die Hälfte davon deutsche Kinopremieren, fokussierten jüdische Lebenswelten und setzten sich mit Begriffen wie Identität, Verschiedenartigkeit der Kulturen und Koexistenz auseinander. Kurzfilme aus der aktuellen Produktion israelischer Filmhochschulen rundeten das reichhaltige Programm ab.

Alle Filme wurden in der Originalfassung mit deutschen Untertiteln gezeigt, auf einer 48qm großen Leinwand und in professioneller Kinoqualität, die im Zeitalter von ‚DVD-Filmabenden‘ leider nicht mehr selbstverständlich ist. Eine Reihe von Filmemacherinnen konnte nach München kommen, sie stellten dem interessierten Publikum ihre Produktionen persönlich vor. Lebhafte Diskussionen mit dem Publikum nach jeder Vorstellung machten die Kinoabende damit zu einem nachhaltigen Erlebnis.

Aus dem Programm

Am Eröffnungsabend, der zusammen mit dem Österreichischen Generalkonsulat in Bayern und Baden-Württemberg gestaltet wurde, stellte die bekannte Wiener Dokumentaristin Ruth Beckermann ihren Film Zorros Bar Mizwa als deutsche Kinopremiere vor. Sie hat vier 12-jährige Jugendliche in Wien bei den Vorbereitungen auf ihre Bar Mizwa bzw. Bat Mizwa begleitet. Die Kamera gleitet dabei scheinbar zufällig und unbemerkt in private Sphären der ProtagonistInnen, zeigt ihre Familien und deren Umgang mit Religion. Im Anschluss an die Filmvorführung ergab sich eine lebhafte Diskussion mit der Regisseurin. Weitere Möglichkeit zum Gespräch gab es außerdem beim anschließenden Stehempfang, der als Abschluss eines bewegenden Abends großen Anklang fand.

Weltpremiere für zwei Hochschulfilme

Am letzten Tag erlebten zwei Abschlussfilme von Studentinnen der HFF Hochschule für Fernsehen und Film München ihre Weltpremiere, in deren Mittelpunkt die Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte der Autorinnen steht.

Julia Tal, in der Schweiz geborene und lebende Dokumentarfilmerin, begibt sich mit ihrem beeindruckenden Film Der kleine Zalam [Looking for Walter] zusammen mit Coautorin Despina Grammatikopulu auf eine Zeitreise nach Israel.
Als Hitler 1933 an die Macht kam, war es für ihren Großvater Walter Kristeller in Berlin zu Ende. Er packte seine Film- und Fotoapparate und machte sich auf den Weg nach Palästina. Während viele seiner Arbeitskollegen bei der UFA Babelsberg ihr Glück in Amerika suchten, verkündete Walter überraschend, er werde dorthin gehen, wo er als Jude hingehöre. 75 Jahre später machte sich Julia Tal am Ende ihres Studiums auf die Suche nach dem Werk des Großvaters. Mit Hilfe erhaltener Dokumente und Zeitzeugen folgte sie der Spur seiner Filme und kam zu überraschenden Ergebnissen: Von den Ideen der zionistischen Pioniere war nur wenig erhalten geblieben und Großvaters Legende erschien in einem anderen Licht. Sein Werk ist untrennbar mit der Entstehung des Staates Israel verbunden und statt mit seinen Filmen setzte sich die Filmemacherin immer stärker mit den Konflikten auseinander, deren Ursprünge bis in Walters Zeit zurückreichen.
Viele Monate hat Julia Tal dafür in Israel, der Heimat ihres früh verstorbenen Vaters gelebt und recherchiert. Als Tochter einer Schweizerin mit zwei Pässen erlebt sie das Land und seine Menschen, taucht ein in eine ihr unbekannte Welt.

„Auch wenn ein Holzbalken zehn Jahre im Fluss liegt, wird er nicht zum Krokodil. In Deutschland bin ich Israelin und in Israel Deutsche. Ich bin die ewige Auswanderin. Tochter von ewigen Auswanderern, Enkelin von ewigen Auswanderern… Wo gehöre ich hin? Wohin gehören meine Kinder?“
So beschreibt sich Tom Tamar Pauer, in Israel geborene Filmemacherin, die nach Ende ihres Studiums an der Hochschule für Fernsehen und Film München 2004 mit ihren beiden Kindern nach Israel zurückgekehrt ist. Ihr Vater ist Israeli, die Mutter stammt aus Franken und ist evangelisch, bei einem Arbeitseinsatz im Kibbuz haben sich beide in den 60er Jahren kennengelernt. In ihrem Abschlussfilm Ein Koffer ist kein Kinderzimmer dokumentiert Tom Pauer, kongenial begleitet von Kamerafrau Sanne Kurz aus München, ihr erstes Jahr in Israel, beschreibt einfühlsam die Situation einer Grenzgängerin, die sich auf der Suche nach Heimat mit vielen Fragen und Konflikten neu auseinandersetzen muss. Ein sehr persönlicher Dokumentarfilm über die Zerrissenheit und das Leben zwischen zwei Fronten, mit dem letztlich nicht jeder umgehen kann. Daniel Pauer, der Sohn der Filmemacherin, hat sich nach einem Jahr entschieden, allein nach Deutschland zurückzukehren und auf einem Internat in Bayern sein Abitur zu machen, er lebt heute als Student in München.

Beide Autorinnen waren mit ihren Teams nach München gekommen und standen dem Publikum im Anschluss an die Weltpremieren ihrer Filme für Frgen zur Verfügung. Und obwohl Julia Tal und Tom Tamar Pauer denkbar unterschiedliche Persönlichkeiten verkörpern, wirkten die Regisseurinnen beide sehr authentisch und unterstrichen durch ihre Präsenz bei den Jüdischen Filmtagen noch einmal die Bedeutung ihrer Filme und des Festivals.

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